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Re: Die Zukunft des Internet-Musikmarktes
- To: PILCH Hartmut <phm@a2e.de>
- Subject: Re: Die Zukunft des Internet-Musikmarktes
- From: "Janko Roettgers" <roettgers@devcon.net>
- Date: Fri, 19 Mar 1999 03:39:47 +0000
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Guten Tag,
PILCH Hartmut <phm@a2e.de> schrieb:
> > > Besonders auf dem Lande, wo bis vor kurzem noch
> > > Musizieren mit Blasinstrumenten hoch im Kurs stand, hat die
> > > Berieselungskonserve jegliche Kultur ueberrollt.
> >
> > Und wenn auch hier die Schuld nicht bei der "Kulturindustrie",
> > sondern beim Kulturbetrieb selbst liegt? Vielleicht haben Kinder ja
> > einfach keine Lust mehr auf "Du lernst ein Instrument!"-Autoritaeten.
>
> "Keine Lust auf .... Autoritaeten" gehoert zum hedonistischen
> Grundton. Aber ohne recht qualvolle Durststrecken geht nichts.
Bitte streiche das qualvoll. Qual faengt meist da an, wo das Handeln
nicht aus eigenem Antrieb erfolgt, sondern erzwungen wird. Sobald das
(selbstbestimmte) Ziel vor Augen liegt, bekommt auch die Durststrecke
Sinn.
> Was
> sagte noch Weizenbaum (auf Fitug-Liste zitiert) zu Edutainment?
Hab ich leider nicht gelesen. Zu Edutainment faellt mir allerdings
die Position Seymour Paperts (MIT) ein, die da singemaess lautet:
Klassisches Edutainnment funktioniert nicht, weil es Kids fuer dumm
verkauft. Weil es so tut, als koennte man das Pauken hinter bunten
Bildern versteckecken. Und weil die Kids so doof eben doch nicht
sind.
Sattdessen sollte Edutainment Kids dazu bringen, aus eigenem Antrieb
eigene Projekte zu zu realisieren, die ernst genommen werden koennen.
Und sie somit dazu bringen, bestimmte Sachen lernen zu wollen (z.B.
Programmieren), weil sie es zur Loesung ihres Problems brauchen.
Durststrecken gibts dabei sicher auch, qualvoll muessen sie aber
nicht sein.
> > Und wenn die Kids heute - statt Noten vom Blatt zu spielen - 3
> > Akkorde in die Klampfe hauen bzw. Ende dieses Jahrzehnts wohl eher
> > mit Cubase und Co. rumexperimentieren und auf diese Weise einen
> > aktiven Zugang zur Musik finden, dann ist das doch wohl kein
> > Kulturverlust. Oder?
>
> Doch. Es sei denn sie lernen mit der Zeit wirklich so virtuos mit
> MIDI etc umzugehen, wie das beim Instrumentelernen gefordert war.
Aus meiner eigenen Erfahrung moechte ich behaupten, dass die
MIDI-Freaks schnell ein viel groesseres musikalisches Wissen
erwerben als Kids, die zum Mitspielen im Orchester genoetigt werden,
damit die liebe Verwandtschaft zwei Mal im Jahr zum Konzert gekarrt
werden kann.
Die MIDI-Freaks stossen naemlich sehr schnell auf Dinge wie
Harmonien, Tonalitaet, Skalen. Oder entwickeln eigenes musikalisches
Grundwissen, dass sich jenseits von Tonalitaet & Co. in Kenntnissen
ueber Klangsynthese, Filter und so weiter ausdrueckt. Dagegen
triffst Du in den Orchestern Leute, die nach 3 Jahren
Unterricht immer noch nicht wissen, wie sie ihr Instrument
tiefer stimmen ...
> Doch ich sehe nur eine Software-Industrie, die nach Kraeften den
> Zugang zur Virtuositaet verbaut, in deren Wertesystem z.B. die
> Kommandozeile, die Grundlage der Computer-Virtuositaet, als veraltet
> und "kryptisch" gilt.
Ein schoenes Beispiel. Versuch mal, musikalische Ausdrucksweisen auf
Computer-Interfaces anzuwenden. Versuch mal, mit einer Kommandozeile
frei zu improvisieren. Vergiss dafuer fuer einen Moment all Deine
bereits erworbenen Kenntnisse ueber das verwendete System/Programm.
Gib frei erfundene Zeichenketten ein und beobachte das Ergebnis.
Versuche, daraus zu lernen und Dir auf diese Weise Wissen anzueignen.
Nicht besonders effektiv? Nun, GUIs ermoeglichen ein solches
Improvisieren. Und damit auch einen ganz anderen Begriff von
Virtuositaet. Naemlich einen, der spielerisches Ausprobieren
einschliesst, und nicht auf linearer/hierachischer Wissensvermittlung
fusst. Auch hierzu empfehle ich die Lektuere von Seymour Papert und
auch seiner Kollegin Sherry Turkle.
Um bei der Musik zu bleiben: Ich kann es niemandem veruebeln, lieber
mit den Drehbuttons von Rebirth rumzuspielen als sich mit
algorithmischer Komposition a la CSound und Co auf
Kommandozeilenbasis rumzupruegeln - weil letztgenanntes wirklich
kryptisch ist, man sich bei ersterem aber die qualvollen
Durststreckenn ersparen kann.
> > Letztlich kann man aber den Leuten nicht vorschreiben, bei welcher
> > Musik sie genau hinhoeren. Man kann nur versuchen, sie dazu zu
> > bringen, dass sie genau hinhoeren, dass sie Musik generell ernst
> > nehmen. Egal, ob E oder U. Denn dann setzten sie sich auch damit
> > auseinander, entwickeln eigene Impulse.
>
> Sobald sie genau hinhoeren, ist es E.
Das ist aber nichts anderes als das, was Dieter Bohlen gesagt hat,
tschldigung. "Sobald man unsere Musik auf dem Klavier spielt, hoert
sie sich an wie Mozart." Sobald man bei Modern Talking genau
hinhoert, ist es E?
> > Bezug zum urspruenglichen Thema:
>
> Ich finde, wir waren gar nicht abgedriftet. Hier noch ein Bezug:
> Musik hat immerhin einen Kontext, der nicht durch Kopieren zu
> ersetzen ist: das Konzert. Bei Freier Software ist dieser Kontext,
> die Dienstleistung, viel duenner und unzuverlaessiger. Ergo: GPL
> passt auf Musik mindestens genauso gut.
>
> Ich sehe allerdings einen Unterschied: Unfreiheit von Musik richtet
> keinen grossen Schaden an, weil kein Kompatibilitaetskrieg der
> Plattformen stattfindet. Ebendeshalb wird die GPL im Bereich der
> Musik die Gemueter vermutlich nie erhitzen koennen.
Bisher findet noch kein Kompatibilitaetskrieg der Plattformen statt.
Das koennte sich mit Audio On Demand etc. aendern. Ich sehe seitens
der Musikindutrie schon Bestrebungen, zu sagen: MP3 ist eine
Raubkopierer"plattform", MP4 / Liquid Audio / whatever der einzig
richtige Weg. Wollen wir hoffen, dass sie sich damit nicht
durchsetzen koennen.
Tschoe
Janko
--
Janko Roettgers - roettgers@devcon.net - http://www.devcon.net/~roettgers/