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Re: Datenschutz -- bitte um Beispiele!





Florian Weimer schrieb:

> Thomas Riedel <uzsswo@uni-bonn.de> writes:
>
> > § 1: Die Verwendung von personenbezogenen Daten ist erlaubt, es sei denn, ein
> > begründetes Interesse spricht im Einzelfall dagegen.
> >
> > § 2: Ein begründetes Interesse ist nur gegeben
> >
> > a. in Fällen, in denen die Voraussetzungen eines
> > Grundrechtsverzichts fehlen oder
>
> Was heißt das? Wer soll auf welches Grundrecht verzichten?

Das Grundrecht ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (BVerfGE 65,1
ff.). Inhalt und Träger dieses Grundrechts sind bis jetzt nicht wirklich
zufriedenstellend gegen Inhalt und Träger des Recht auf freie Meinungsäußerung
(Art. 5 GG) abgegrenzt. Das macht aber nichts, wenn man fingiert (tatsächlich ist
das sehr realistisch), daß jeder sowohl auf "Kommunikation ja" als auch auf
"Kommunikation nein" angewiesen ist, wenn er seine Persönlichkeit in der
Gesellschaft frei entfalten will. Ich möchte daher dem jeweiligen Individuum
selbst überlassen, wie er die Abgrenzungsfragen stellt und beantwortet. Das hat
eine verfassungsrechtliche Grenze. Die wird unter dem Stichwort
"Grundrechtsverzicht" thematisiert.

>
>
> > b. in Fällen, in denen nachhaltige staatliche oder wirtschaftliche
> > Machtpositionen ihre Nachhaltigkeit gerade aus der Verwendung
> > personenbezogener Daten beziehen und kein öffentliches Interesse die
> > Verwendung rechtfertigt.
>
> Was ist mit medialen und theokraitschen Machtpositionen?
>
> Nehmen wir doch mal ein konkretes Beispiel her. Irgendein
> Pharmaziekonzern schließt Verträge mit zahlreichen Krankenhäusern ab,
> die daraufhin Gewebeproben einer bestimmten, genetisch nicht zu
> diversen Bevölkerungsgruppe an das Unternehmen abführen. Oder man
> rekrutiert Freiwillige aus dieser Bevölkerungsgruppe und nimmt ihnen
> entsprechende Proben ab. So etwas ist z.B. in den Vereinigten Staaten
> bei Aschkenasim gar nicht mal so unüblich.
>
> Als Ergebnis weiß man dann, daß vielleicht irgendein Gen um
> soundsoviel Prozentpunkte die Wahrscheinlichkeit erhöht, an
> Dickdarmkrebs zu erkranken, und daß Aschkenasim dieses Gen mit einer
> bestimmten Wahrscheinlichkeit tragen (die über oder unter dem
> Bevölkerungsdurchschnitt liegen kann).
>
> Nun stellen sich ein paar Fragen:
>
>   - Sollte so etwas erlaubt sein? Ist das überhaupt problematisch?
>     (Meines Erachtens sind solche Sachen hochbrisant.)

Ob etwas im Einzelfall problematisch ist, ist nicht mein Problem, sondern das des
Gesetzgebers und jedes einzelnen Mitglieds dieser Gesellschaft. Grundsätzlich kann
Datenschutz iSv Zweckbindung in jedem Einzelfall die richtige Antwort sein. Nur
eben nicht in ALLEN Einzelfällen auf Verdacht. Mein ganzes Anliegen ist es, zu
vermitteln, daß "Datenschutz auf Verdacht" (wie jetzt noch in Deutschland als
Kommunikationsverbot mit Erlaubnisvorbehalt) falsch ist. WENN Dinge im Einzelfall
problematisch sind, bitte. Aber nur dann. Andernfalls kriminalisiert man jeden
Besitzer eines Filofax.

>
>
>   - Gibt es rechtliche Normen, die dieser Art von Forschung
>     Einschränkungen unterwerfen?
>
>   - Wenn nein, muß ein Datenschutzrecht den einzelnen vor der
>     Vorverurteilung durch die Zugehörigkeit zu bestimmten
>     Bevölkerungsgruppen schützen?

Jetzt sei bitte nicht naiv. Wir alle haben Schubladen, um Leute vorzusortieren.
Das ist auch gar nicht schlecht, solange jeder sich aus einer Vorsortierung ggf.
wieder befreien kann. Je weniger Information, je weniger freie Diskussion, desto
mehr Schubladen und desto nachhaltigere Einsortierungen.

>
>
>   - Wenn ja, kann das die von Dir vorgeschlagene Regelung leisten?
>
> > Wenn aber die Zweckbindung ohnehin durch jemand anders als das
> > Individuum ausgeübt wird, widerspricht es seinen eigenen Prämissen
> > (Autonomieschutz).
>
> Nicht unbedingt. Man kann auch jemanden schützen, eben weil er nicht
> in der Lage ist, seine Rechte wahrzunehmen.

Bei den Schröder-Wählern bin ich geneigt zuzustimmen. Aber das könnte nur ein
Diktator. Also gibt es keine falschen Wahlentscheidungen, nur falsche Wähler
(gemessen an der objektiven Notwendigkeit von Strukturwandel). Denen könnte man
aber ihre Autonomie nicht in ihrem Interesse wegnehmen, sondern nur im Interesse
der übrigen.

>
>
> > Die sind hier ziemlich weit, zumal auch das
> > Direktmarketingunternehmen eigene Grundrechte hat.
>
> Ein Unternehmen hat keine Grundrechte. Menschen haben Grundrechte.

Grobe Unkenntnis, insbesondere für den Datenschutzbereich. Schau mal in Art. 19
III GG. Während es nach dem Bundesverfassungsgericht so ist, daß Datenschutz die
Persönlichkeit (also letztlich eine natürliche Person) schützen soll, hat man den
Datenschutz anderswo aus Gründen, die ich lieber nicht öffentlich bewerte, ins
Uferlose ausgedehnt. Danach sollen auch Unternehmen Datenschutz beanspruchen
"dürfen". Garstka möchte noch theoretisch völlig uferlos "soziale Systeme"
schützen. Das ist alles, was man sich nur vorstellen kann. Aber die Konsequenz
ist, daß dann der Staat die Kommunikation entsprechend weitgehend steuern dürfen
muß. Man kann vielleicht dürfen, aber man muß nicht können.




> Es
> gibt allerdings sehr obskure Entwicklungen in diesem Bereich (z.B. den
> Vorschlag von "corporate free speech" in den USA als Blanko-Scheck für
> ziemlich viele Auswüchse).
>
> > Außerdem hat auch das Individuum ein Kommunikationsrecht, die
> > Reichweite der Verwendung "seiner" Daten weiter als nach der
> > Vorstellung des Gesetzgebers oder als unbegrenzt zu bestimmen.
>
> Das mag sinnvoll sein oder nicht. Ich halte es z.B. für durchaus
> wünschenswert, wenn Menschen nicht die Freiheit haben, sich in die
> Sklaverei zu verkaufen.
>

Die Verwendung personenbezogener Daten entspricht - entgegen so lautender
populärer Vorstellungen - nicht dem Abfotographien der Seele (was einige indigene
Stämme für möglich halten) oder der Wiedereinführung der Sklaverei.


>
> > Zu § 2 b: wichtig ist die Nachhaltigkeit oder "Vermachtung". Denn wenn man
> > allgemein "Informationsungleichgewichte" ausreichen lassen würde, würde man
> > sich selbst täuschen.
>
> Vor allem sehe ich nicht, wie solch hochkomplziierte Konzepte das
> Datenschutzrecht vereinfachen können. Solche Ansätzen taugen kaum als
> Programm zur Reform oder Revolution.

Widersprüchlichkeit oder Redundanz wären erhebliche Argumente gegen meine These.
Daß die Welt einfacher sein kann als sie ist, glauben allenfalls die Kunden der
HypoVereinsbank.

>
>
> > Denn Information besteht immer in dem Zustand eines
> > Informationsungleichgewichts, den sie ausgleicht und so
> > einen anderen Zustand herbeiführt, der seinerseits ein
> > Informationsungleichgweicht darstellt und - sehr vorläufig und nie
> > vollständig - "ausgeglichen" werden will.
>
> Ist das nicht ein etwas zu kapitalistischer, am Eigennutz orientierter
> Denkansatz? Bestimmte, wertvolle Information (z.B. Erfahrungen im
> Umgang mit kritischen Situationen) gewinnt erst dann richtig an
> Bedeutung, wenn sie geteilt wird.

Was ist denn wohl Geld anderes als ein gemeinsamer Wert? Geld ist immer auch
Wertzuschreibung, die einem Objekt entspricht. Auch wenn zB nur ein Mensch einem
Objekt den höchsten Wert zuschreibt, hat diese Zuschreibung in der gesamten
Gesellschaftsordnung Bestand, wird daher allgemein anerkannt als SEINE Bewertung
eines Objekts.

Grüsse,

Thomas Riedel




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