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Re: Der Schrift fehlen die Farbpigmente von Bananen
- To: debate@fitug.de
- Subject: Re: Der Schrift fehlen die Farbpigmente von Bananen
- From: Bodo_Moeller@public.uni-hamburg.de (Bodo Moeller)
- Date: Sun, 5 Jul 98 16:52 +0200
- Comment: This message comes from the debate mailing list.
- In-Reply-To: <199807050935.LAA14691@maroki.netzservice.de>
- Organization: Hamburg University
- Sender: owner-debate@fitug.de
Martin Rost <maro_ml@maroki.netzservice.de>:
>> [...] Die Schrift soll einerseits benutzt werden, um gesprochene
>> oder zumindest potentiell gesprochene Sprache in einem anderen Medium
>> festzuhalten; andererseits fehlen aber der Schrift etliche
>> Ausdrucksmittel, die beim Sprechen zur Verfügung stehen (Betonung,
>> Tonfall, Geschwindigkeit, Tonhöhe ...). Also schafft man sich Ersatz:
> Ja. So sehr im Ergebnis die Tschicholdschen Regeln ergonomisch
> stimmen - das Schriftbild soll sich nicht aufdraengen, sondern wie
> Sprechen leicht eingaengig sein, quasi das Lesen vergessen machen -
> so falsch ist die Voraussetzung, Schrift enthalte gesprochene
> Sprache. Geschrieben-schriftliche Kommunikation ist keine
> Sprache. [...]
Das ist völlig richtig, widerspricht aber gar nicht meiner
Argumentation. Das Festhalten von Sprache ist _eines_ der
Anwendungsgebiete der Schrift (Lesen ohne Mitsprechen soll übrigens im
Mittelalter noch eine Seltenheit gewesen sein). Die Emoticons dürften
ihre Existenz oder jedenfalls ihre Verbreitung ganz ähnlichen Motiven
verdanken: Anstatt sich beim Schreiben auf das dabei sonst übliche
Repertoire an Ausdrucksmitteln zu beschränken, werden zusätzliche
Zeichenkombinationen benutzt, die direkt von bestimmten im
persönlichen Gespräch möglichen nonverbalen Äußerungen hergeleitet
sind.
Das heißt keinesfalls, dass die damit entstandenen Texte auch
tatsächlich als Vortragsanleitung zu gebrauchen sein müssten ("jetzt
lächeln und mit dem rechten Auge zwinkern"). Aber die Smileys stammen
eben unmittelbar von gewissen Erscheinungen der direkten Kommunikation
von Mensch zu Mensch ab, ähnlich wie die Betonung von Wörtern durch
das Setzen in einer Kursivschrift nachgeahmt werden kann.
Das Jargon-File sagt folgendes:
>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>
:emoticon: /ee-moh'ti-kon/ /n./ An ASCII glyph used to
indicate an emotional state in email or news. Although originally
intended mostly as jokes, emoticons (or some other explicit humor
indication) are virtually required under certain circumstances in
high-volume text-only communication forums such as Usenet; the lack
of verbal and visual cues can otherwise cause what were intended to
be humorous, sarcastic, ironic, or otherwise non-100%-serious
comments to be badly misinterpreted (not always even by
{newbie}s), resulting in arguments and {flame war}s.
[...]
It appears that the emoticon was invented by one Scott Fahlman on
the CMU {bboard} systems around 1980. He later wrote: "I wish I
had saved the original post, or at least recorded the date for
posterity, but I had no idea that I was starting something that
would soon pollute all the world's communication channels." [GLS
confirms that he remembers this original posting].
Note for the {newbie}: Overuse of the smiley is a mark of
loserhood! More than one per paragraph is a fairly sure sign that
you've gone over the line.
<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<
> [...] Mailkommunikation
> ist keine gesprochene, sondern eine verschriftlichte Kommunikation.
> Jeder Versuch, Sprech-Authentizitaet zu simulieren, bleibt Simulation
> und Inszenierung (und wirkt deshalb auf mich obendrein oftmals
> unangenehm distanzlos und manchmal schlicht etwas bloede) [...]
Richtig. Aber eine lediglich inszenierte Pseudo-Authentizität muss ja
nichts Minderwertiges sein. Einerseits kann man bei manchen der auf
viele "blöde wirkenden" Usenetbeiträge feststellen, dass mit dem
Beseitigen der Smileys schon ein erster großer Schritt zur
Verbesserung des Artikels getan wäre. (Und bei anderen ist es der
ständige Gebrauch von "..." anstelle von richtiger Interpunktion, der
wohl ebenfalls eine simulierte Sprech-Authentizität schaffen soll und
genauso störend wirkt -- die Smileys selbst sind also nicht schuld.)
Andererseits können aber erkennbare Inszenierungen auch ihren Reiz
haben, zum Beispiel in folgendem Text von 1930:
Vor Monaten bin ich einmal mit der Puff-Puff-Bahn von Paris
nach Berlin gefahren, denn ich wollte meinem Verleger ins
treue Auge sehn ... («Sie werden auch nie lernen, ein
Feuilleton richtig anzufangen. Das fängt man gefälligst so an:
<Das Flugzeug surrte über Le Bourget ab, das gute, alte Paris
tief unter sich lassend ...>») Ja, also ich fuhr mit der Bahn
nach Paris.
Ich sehe keinen Grund, warum man bei seinen Inszenierungen nicht auch
mal ein Emoticon aus der Requisitensammlung holen sollte -- sofern man
voraussetzen kann, dass die Bedeutung solcher Zeichenfolgen der
Leserschaft bekannt ist. Dass Tucholsky (Quelle des Zitates: Peter
Panter: Das Stundenkonto) auch ganz wunderbar ohne solche Hilfsmittel
ausgekommen ist, heißt nicht, dass man auf sie verzichten _muss_
(zumal so gut wie niemand auf seinem Niveau zu formulieren versteht).
[...]
>> In Mail und News haben Smileys also durchaus ihren Sinn (bei IRC
>> und talk erst recht).
> Ja. Ein hohes Smiley-Aufkommen ist ein Indikator fuer
> Interaktionssimulation, im IRC findet man Sprech-Not-Texte.
> [...] Diskussionen etwa
> in Mailinglists werden dagegen verschriftlicht bleiben, weil
> argumentative Figuren im Schriftmedium aneinander schaerfend ungleich
> komplexer, genauer, optionenreicher, konfliktheischender, rationaler,
> wieder-holbar... anschliessen koennen. Dort wirken derzeit nicht nur
> Smiley deplaziert, sondern fuer mein Empfinden sogar Ausrufezeichen
> oder Grossschreibung.
Auch in sachlichen Texten mit einer eigentlich nüchternen Botschaft
muss Ironie nicht immer schaden (oft schaden allerdings Smileys der
Ironie; manchmal sind sie eine geeignete Zutat). Wenn Knuth (The Art
of Computer Programming, Vol. 2) die Einleitung eines Kapitels über
statistische Test mit dem Satz beendet
If the evidence doesn't come out as desired, the reader may
wish to try the techniques in "How to Lie With Statistics" by
Darrell Huff (Norton, 1954),
dann dringt seine eigentliche Aussage -- nämlich eine Buchempfehlung
-- problemlos zum Leser durch; dass der Satz bestimmt nicht wörtlich
gemeint ist, stört dabei überhaupt nicht.