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Re: [FYI] Justizminister droht Providern "Daumenschrauben" an



On Wed, Nov 29, 2000 at 08:21:58AM +0100, Neko (Simone Demmel) wrote:
> Holger Veit (holger.veit@gmd.de) - Tue, Nov 28, 2000 at 09:01:00PM +0100:
> > Bei Staaten, bei denen *wir* etwas wollen - z.B. Oel oder andere
> > Rohstoffe -, wird andersrum auch von *uns* mal das eine oder andere
> > Auge zugedrueckt.
> 
> Deine Denkweise gefaellt mir nicht - oder besser: mir gefaellt nicht, wo
> Du damit hinsteuerst. Und das Schlimmste: Nuechtern betrachtet hast Du
> auch noch Recht.

Ich beobachte da lediglich. Das heisst nicht, dass ich eine solche Haltung
befuerworte. Sie ist aber inhaerent, bar jeder philo-sophistischen
Utopie vom Gutmenschen, in unserer Gesellschaft vorhanden, auch und gerade 
in der Anbetung des kapitalistischen Konsumgoetzen, aber auch etwa in 
aufkeimendem Rechtsradikalismus und Fremdenhass. Ich habe keine gute
Idee, was dagegen zu unternehmen ist; andererseits stecken wir da aber auch
in dem Dilemma, dass die Werkzeuge, die zur Verfuegung stehen, da nur mehr
wenig greifen, bzw. die "Patentloesung", alles und jedes zu reglementieren oder
zu verbieten, weder wuenschenswert noch ueberhaupt praktikabel ist.

[...]
> (Ich meine damit grundlegende Gesetze, nicht das deutsche Grundgesetz,
> von mir aus duerfen auch die 10 Gebote herhalten - andere Religionen
> haben Aehnliches, ebenfalls sinnvolle Gebote)

Wieviel bleibt bei Licht gesehen von den 10 Geboten uebrig?
Vielleicht noch mal ein bischen "Du sollst nicht toeten" und "Du
sollst nicht stehlen" (hmmm: Du sollst Sach*werte* anbeten?).
Nicht ehebrechen, nicht luegen, keine fremden Goetter, Eltern ehren?
LOL! (Die paar anderen Gebote spare ich mir).

Wobei auch Toeten und Diebstahl von Fall zu Fall uminterpretiert wird,
wenn es gerade opportun ist: Soldaten sind lediglich in den Augen unbeteiligter
Tucholskirezitatoren Moerder; sie selbst sehen zu, dass es ihnen selbst nicht
an den Kragen geht (entweder durch Kugeln von vorne oder durch Stand"unrecht" 
von hinten); fuer den Machthaber ist es "erforderlich" (vgl. die Bundeswehr-
RealLife-Manoever auf dem Balkan.

> Wenn man es von der anderen Seite her betrachtet, wird es niemals auch
> nur ein wirklich weltweit anerkanntes Gesetz geben. Wozu machen wir uns
> dann noch die Muehe mit den Gesetzen, wenn sich dann doch immer nur drei
> Hanseln dran halten?

Das ist die wesentliche Frage dabei. Schaffe als Gedankenexperiment mal
die Strafe fuer Mord und Totschlag ab. Im selben Moment wird eine Haelfte
der Menschheit der anderen einen Knueppel ueber die Ruebe hauen (dass die
andere das mitmacht, liegt nur daran, dass sie es nicht so schnell mitgekriegt
hat). Klingt menschenfeindlich - kratzt aber im wesentlichen an der Hybris
des Menschen, "besser" zu sein als die Natur.

> > Es gibt ein schlagendes Argument, so vorzugehen: Sachzwaenge. 
> > *Sach*zwaenge. Nicht *Menschen*zwaenge. Das erklaert eigentlich alles.
> 
> Dann habe ich Dich richtig verstanden, Du bist der Meinung, dass
> Sachzwaenge uns zwingen, Gesetze zu machen, die vielleicht nicht mit der
> Meinung aller Beteiligten ueberein stimmen? Warum koennen wir das das

Jein. Sachzwaenge sind stets das Argument, sich anders zu verhalten, als
menschliche Gesetze oder Menschenrechte es vorgeben. Es geht aber nicht darum,
etwas Gutes fuer die Menschheit zu tun, sondern lediglich darum, seine Macht
zu erhalten oder zu steigern. Die erwaehnten 10 Gebote sind ein schoenes
Beispiel dafuer: sie stellen sicher, dass das Volk, das sich ihnen unterordnet,
sich nicht binnen kuerzester Zeit selbst zerfleischt. Ueber allem allerdings
steht das 1. Gebot: "Ich bin der Herr, Dein Gott. Du sollst keine anderen
Goetter neben mir haben" als stabilisierende Klammer. In anderen Faellen
sind solche Klammern etwa die Nationalitaet oder Rasse oder Klanmitgliedschaft
oder Vereinszugehoerigkeit.

*Sach*zwaenge stellen das Interesse an Sachen ueber das an Menschen. Menschen
werden ver*sach*licht, etwa zu Stimm*vieh* (Tiere gelten rechtlich als *Sachen*)
entwertet. Vielfach werden im Recht (nicht nur, aber auch, im deutschen Recht)
Sachdelikte hoeher bestraft als Personendelikte, und wenn es mal irgendwo
die Hoechststrafe gibt, wie etwa in Amerika, dann ist ein deutliches
Ungleichgewicht bei der Anwendung zu erkennen, was das Recht nur mehr als
opportunes Reglementierungsinstrument der Machthaber gegenueber ihrem
Volksbesitz entlarvt.

> nur regional in einzelnen Laendern und nicht weltweit? Dann haette man

Ein von aussen oktroyiertes Gesetz ist wirkungslos und unbrauchbar, weil
niemand aus sich heraus davon ueberzeugt ist, dass es gut ist. Exkurs: 
Wir merken das am gewandelten Eigentumsbegriff etwa beim Umgang mit 
"Raub"kopien oder Napstereien: das Urheberrecht stellt sich als eine
recht einseitige Angelegenheit heraus, was auch mit der Multiplizierbarkeit
von Information zu tun hat. Ein fassbarer Gegenstand ist in gewisser Weise
quantifizierbar: man mag etwa etwas mit gold aufwiegen oder findet einen
anderen adaequaten Tauschgegenstand. Der Wert von Information ist nicht
durch das Zaehlen von Bits bestimmbar - und wo Information beliebig
vervielfaeltigbar ist, ist ein Kaufpreis oder eine Nutzungsgebuehr
nicht mehr einsichtig. Ende des Exkurses.

Soll heissen: wenn Du von dem Tempo30-Schild auf weithin freier breiter 
Landstrasse (da wohnt ein MdB in der Naehe, der sich durch den Strassen-
laerm gestoert fuehlt) nicht ueberzeugt bist, weil da nunmal keine
spielenden Kinder weit und breit sind (ein nachvollziehbares Argument),
dann wirst Du das Schild ignorieren, weiter brettern und wie ein Kutscher
fluchen, wenn die Bullente dich blitzt, statt Schmoekel und anderen Abschaum
fuer immer ins Loch zu mauern.

Wie soll es da erst bei abstrakten Gesetzen gegen Kindesmissbrauch oder andere
Missetaten ablaufen, insbesondere wenn eine vollkommen andere Kulturtradition
und Mentalitaet vorhanden ist. Wenn irgendein Scheich ankaeme und verlangen
wuerde, dass Du ab jetzt, im Sinne des Korans, verschleiert rumlaufen solltest,
weil eine huebsche Blondine wie Du allein durch den Anblick schon einen negativen
Einfluss auf fremde Maenner habe (da schimmert das biblische Motiv des
Nichtehebrechens wieder durch...), wuerdest Du dir an den Kopf greifen und
sagen, dass wir jetzt in einer offenen Zivilisation an der Grenze des
21. Jahrhunderts leben und Du solchen mittelalterlichen Schwachfug nicht
mitmachen wuerdest.

Nun ja, und jetzt stelle Dir mal den Bewohner eines Drittweltslums vor, bei
dem es seit Generationen ueblich ist, dass die Kinder mit fuer den Unterhalt
der Familie sorgen muessen, und wenn es Maedchen sind, die nicht wie Jungs
hart anpacken koennen, schickt man sie "ganz natuerlich", wie alle es schon 
immer taten, auf den Strich? Da kommt ein Typ aus einem westlichen Land,
schliesst einen Handelsvertrag ueber Waffen mit dem Staatschef ab, mit der
Massgabe, dass diese Prostitution aufhoere? Das fuellt nur keine Maegen,
und bleibt unwirksam.

Und ums noch etwas weiter zu treiben: selbst wenn die beliebten Club-Of-Rome-
Prognosen wohl nicht so zutreffen wie befuerchtet: gehe mal in Gedanken
20? 30? 50? Jahre in die Zukunft, wo eine Resource, etwa Oel, stark beschraenkt
ist. Und jetzt kommt wieder der Scheich und sagt: Du kriegst mein Oel, aber nur,
wenn Du auch verschleiert rumlaeufst (auch wenn das Beispiel jetzt langsam
laecherlich wird: als Gedankenspiel ist es brauchbar): um wieviel wetten wir,
dass binnen kuerzester Zeit in Europa in den Geschaeften Schadors Mangelware
sein werden?

> naemlich eine Handhabe gegen Leute, die meinen, das Internet sei nur von
> KIs bevoelkert, die zu ihrem Amuesement da seien. Man darf das
> natuerlich auch nicht ueberrtreiben, mit den Gesetzzen, dazu tendieren
> wir Deutschen irgendwie gerne.

Das verdeutlicht das Dilemma oben: wir muessen was tun, aber nicht das, was
offensichtlich erscheint, weil wir uns damit selbst ins Knie schiessen wuerden.

Holger

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