[Date Prev][Date Next][Thread Prev][Thread Next][Date Index][Thread Index]

Re: [FYI] Mosiek-Urbahn (CDU) fordert die Ausgestaltung des Jugendschutzrechtes, damit der Zugang zur gewalttätigen Computer-Realit



On Tue, Oct 24, 2000 at 02:46:19PM +0200, Patrick Goltzsch wrote:
> >>>>> Holger Veit writes:
> 
> >> Kurzum: Wenn jemand so vertrottelt ist, mediale Märchen
> >> mit der Wirklichkeit gleichzusetzen, muss vorher schon
> >> alles mögliche schief gelaufen sein.
> 
> > Bekanntermassen geht ja niemand zu McDonalds, man liest
> > auch nicht die Bloedzeiting, und sieht nicht BigBrother,
> > und schon gar nicht die Aufklaerungs^WVoyeurreportagen
> 
> Ich glaube Du gehst auf ein anderes Thema über. Dass die
> Sachen passieren, bestreite ich gar nicht. Nur was wird
> damit angefangen? 

Was angefangen wird, ist eine Gestaltung eines Menschentyps,
welcher sich seine Erfahrungswelt nicht aus den Erlebnissen
der Real World zusammenbaut, sondern aus kaeuflichen *) oder
auch scheinbar "frei" und/oder "objektiv" angebotenen
Erlebnissen. Firmen gehen dazu ueber, nicht mehr Produkte zu
verkaufen, sondern Erlebnisse/Erfahrungen/Events/Fun. Ziemlich
altes Beispiel: du kaufst keine einfache Zigarette, nein, Du
erwirbst das Gefuehl von weiter Praerie, Cowboy-Lagerfeuer-
Romantik. Ebenso kaufst Du kein Auto, sondern Freude am Fahren;
keine Tuetensuppe, sondern ein Gourmet-Erlebnis.
Du kaufst kein einfaches Fernsehprogramm, sondern das absolute
Formel-I-Erlebnis (aus sechs Kameraperspektiven): Du bist DABEI
(Du brauchst Dir gar nicht mehr am Nuerburgring den Arsch auf der
Tribuene abfrieren; trotzdem warst Du DABEI!). Beim Fussball
laufen zwar noch 25 Leute auf einer Wiese herum, aber verkauft
wird kein 2:1, sondern ein zeitlich begrenztes Gruppengefuehl.

Zu McDonalds gehoert ein immer gleiches Ritual, der froehlichen
und freundlichen Bedienung: mit Ketchup? Das Maxi-Menu? Einpacken
oder nicht? etc. Das unterscheidet sich angenehm von der realen
Realitaet mit muffigem Kaufhauspersonal, Aldikarton-Outfit und
nasebohrenden Kellnern. Du kaufst glueckliche Zeit, und dies
ist auf der ganzen Welt exakt gleich moeglich (Wiedererkennungswert).

Mit den medialen Maerchen - etwa der blonden allzeit bereiten
geilen vollbusigen Schoenheit aus der Werbung - kauft man sich
eine Traumwelt: die will man so haben. Im Film bekommt der Held
am Ende den Kuss; man selbst kriegt bei identischem Vorgehen
nur eine geklatscht - aber man bekommt die mediale Bestaetigung,
dass die Welt voll von willigen Schlampen sei, Seitenspruenge
jetzt gesellschaftsfaehig seien und man lediglich genuegend
ruecksichtslos sein muss, um Erfolg zu haben. Alex schwaengert
Jenny - einfach so. So laeuft das. Das will man auch. Es wird
allenthalben demonstriert, dass man es so machen muss.

Erst kauft man sich ein solches Weltbild aus zweiter Hand,
dann glaubt man daran, und lebt dieses Weltbild aus.

> > Jetzt frage ich Dich, ob sich nicht tatsaechlich ein
> > Grossteil der Zielgruppen ihr Weltbild von den Medien
> > konstruieren lassen und sogar damit gluecklich sind. 
> 
> Ich weiß nicht, was Du als Weltbild ansiehst. Simples
> Beispiel: Jugendliche in West- und Ostdeutschland können
> sich im gleichen Medienmix bedienen. Trotzdem scheint es im
> Osten einen höheren Anteil an rechtsextremen Jugendlichen zu
> geben.

Dass der Medienmix derselbe ist, heisst aber nicht, dass
es nicht doch Gruppenspezifika gibt, welche dann wieder
selektiv wirken, etwa im Osten, wie Du angibst, eher hin
zu rechten Tendenzen.

> > Die Medien praesentieren gerade den richtigen Mix an
> > Weltbild, auf den ein Grossteil ihrer Klientel
> > abfaehrt. Der Fisch ist nicht vertrottelt, wenn er in den
> > Koeder beisst; schlimmer: er will ihn sogar, er liebt
> > ihn. Der Koeder bietet ihm die von ihm gewuenschte
> > Lebensweise und Illusion und *eine* auf den ersten Blick
> > plausible Sicht der Realitaet.
> 
> Mittlerweile haben wir eine Vielzahl von Medien, die sich
> auch gehörig widersprechen. Das eine Weltbild gibt es schon
> deswegen nicht.

Du haengst Dich fehlerhafterweise an dem Begriff "ein Weltbild"
auf. Was durch Medien passiert, ist keine Gleichschaltung
dahingehend, dass jeder nur mehr dasselbe denkt oder dieselben
Produkte konsumiert. Im Gegenteil: man kann sich aus beliebig
vielen Weltbildfragmenten (medienwirksam auf einer Webseite
ausformuliert oder in einen 10 Sekunden Werbespot gepackt)
eine oder mehrere Persoenlichkeiten zurechtzimmern. Die Medien-
wirtschaft bietet nicht wie frueher einen Koeder fuer alle
Fischarten, sondern einen Koederbausatz, mit dem sich jeder
bestimmte Fisch aus dem See an die Angel locken laesst.

Dabei ist festzuhalten: die gemeinsame Eigenschaft ist die
Existenz eines solchen Koederbausatzes, soll heissen: ob
nun der Jugendliche aus West oder Ost kommt, ob rechts oder 
links, etc. es herrscht ein ungeschriebener Konsens, wie
das Leben in dieser Gesellschaft auszusehen hat: naemlich
kommerzgetrieben. Dem tragen die Medien Rechnung, und liefern
geeignete Produkte dafuer. Das "Weltbild" des einzelnen
ist nicht mehr schwarz oder weiss oder auch braun - wer immer
noch in diesen einfachen Kategorien denkt, hat das wirkliche
Problem missverstanden. Auf der Metaebene sind die adolfgroehlende
Glatze und der Chevignonjackentraeger mit Wap-Handy
schlichtweg weitgehend identisch. Sie konsumieren ihre
spezifischen Produkte. Selbst wenn sie sich vielleicht bekriegen, 
sofern sie einander auf der Strasse begegnen, besteht doch 
grundlegende Einigkeit in ihrem Konsumverhalten. Die restlichen
Unterschiede nivellieren sich in der Zukunft.

Wir betrachten die Kommerzialisierung des Internets, den
Krieg um Markennamen und Patente. Dies gehoert genau zu diesem
Umgestaltungsprozess. Informationsgesellschaft im Sinne, dass
jeder sich die volle Breitseite an Wissen besorgen kann, ist ein
Mythos. Es gibt Informationen - beliebige, und einfach zugaenglichst -
aber die Vorselektion ueberlaesst man Dritten, weil's noch einfacher
ist. Und je mehr und bessere "Real"-Adventuregames angeboten werden,
um so geringer wird ein Bedarf an First-Class-Leben.

Holger

-- 
signature fault - code dumbed