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Re: Artikel: Gefangen im Internet



Sorry Hartmut, ich stimme Dir zwar öfter zu als der Durchschnitt der Liste,
aber hier überreizt Du:

At 12:13 19.05.98 +0200, PILCH Hartmut wrote:
[...]
>z.B. dafuer zu sorgen, dass Inhalte nicht anonym hineingemuellt werden
>koennen.  Jeder Provider sollte dafuer verantwortlich zeichnen, dass die
>Identitaet der bei ihm in das Netz gehenden Personen klar ist, und dass
>nur mit solchen Providern, die fuer aehnliches verantwortlich zeichnen,
>Kontakt aufgenommen wird.   Bisher ist das nicht moeglich, weil die
>Provider vor dem Druck des Marktes kein Rueckgrat mehr haben.  In
>Zusammenarbeit mit dem Staat koennten sie ihr Rueckgrat staerken.
>Das ist allemal wirkungsvoller und glaubwuerdiger als liberalistisch
>verbraemte Verantwortungslosigkeit.
[...]

bringt nix. Die Schwierigkeiten, die das Internet hat, sind in den
seltensten Fällen (oder genau genommen: Mir ist kein Fall bekannt)
Probleme, die durch grenzübergreifenden Datenaustausch zustande kommen. Das
Problem ist nicht, dass man etwas illegales tut (illegal im Sinn von
illegal am Ort der Handlung), sondern dass man etwas legales tut und via
Internet an andere Orte transportiert, wo es auf einmal illegal ist.
Paradebeispiel ist Zündel in Kanada. Wir wissen wer er ist - nutzt's uns was?

Nochmal im Klartext: Lokale Probleme existieren im Internet nicht. Erst
wenn internationale Interessen kollidieren entstehen Probleme. Das EINZIGE
mir bekannte Gegenbeispiel ist Scientology<--->anon.penet.fi: das hätte
wahrscheinlich innerhalb eines (beliebigen) Landes ebenso stattfinden
können, und darum ist demokratische Kontrolle so wichtig: Was passiert,
wenn die Staatsgewalt aus irgendeinem Grund unverantwortlich handelt?

>Zumindest muesste gefordert werden, dass das ganze gesetzmaessig und
>transparent geschieht.  Wenn bestimmte Filtermechanismen gefordert werden,
>muessen Sie auf freier, durch oeffentliche Ausschreibung
>finanzierter Software (GNU) beruhen und ihr Einsatz muss genau
>dokumentiert und legitimiert werden.  Die Kosten truege die oeffentliche
>Hand.  Abwaelzen gilt nicht.

Das kommt der Sache schon näher. Ich unterstütze die Forderung nach
Legitimierung und Dokumentation. Allerdings bin ich mir relativ sicher,
dass das noch nicht ausreichend ist. Das Ganze an GNU zu binden halte ich
für überzogen - "Abwälzen gilt nicht" ist ok, und wer zahlt, bestimmt,
welche Technik eingesetzt wird. (Im Gegensatz zur heutigen Praxis: Der
Provider bezahlt, und später entscheidet ein Richter, ob seine
Anstrengungen ausreichend waren.) Allerdings sollte die demokratische
Kontrolle durch eine externe, öffentliche Überprüfung gegeben sein - anders
als die heutige Abhörpraxis in Deutschland.

>> Zugangs-Provider stellen ausschliesslich die technische Möglichkeit zur 
>> Informationsübermittlung zur Verfügung und diese Rolle muss
festgeschrieben 
>> werden. Verantwortlich für Inhalte ist ausschliesslich der Autor (bzw.
der im 
>> Sinne des Presserechts Verantwortliche). 
>
>Das klingt leider auch nach Abwaelzen.
>Internet-Anbieter sind ein Zwischending zwischen Telefonanbieter und
>Zeitungsverleger.  Sicher naeher beim Telefonanbieter als beim
>Zeitungsverleger.  Wo ihre Position genau liegt, ist nur durch eine
>vorurteilsfreie Beurteilung der technischen Moeglichkeiten zu ermitteln.

Grrx... schwierige Sache... erststmal das Einfache vorweg: ... Beurteilung
der technischen Möglichkeit _im_Einzelfall_ zu ermitteln.

Die Angelegenheit ist deswegen schwierig, weil die meisten ISP's mehrere
Rollen (angeblich bis zu neun verschiedene bei einer IP-Connection - mal
sehen, ob ich sie alle hinkriege) übernehmen, und IMHO ihre (moralische)
Verantwortlichkeit mit der Rolle variiert. Die Zählung erfolgt, in dem man
versucht, alle Prozesse technisch zu separieren und in verschiedene
Organisationen zu verlagern: 

 - Redakteur, der einen Text erstellt
 - Inhalteanbieter, beispielsweise ein Verlag, der einen Text kauft und
publiziert
 - Webdesigner, der aus dem Text Webseiten macht
 - Internet-Access-Provider (d.h. IP-Paket-Schaufler, i.A. Betreiber von
Modems und Routern, mieten Überlandleitungen)
 - Web-Hosting-Provider, bei dem die Seiten gespeichert werden
 - Backbone-Provider, die den IAP's die unterliegende Infrastruktur
vermieten (d.h. Bit-Schaufler, i.A. Betreiber von Telco-Vermittlungsstellen
und Besitzer von Überlandleitungen)
 - Proxy-Betreiber z.B. http://www.anonymizer.vom
 - Firewall-Betreiber
 - User
 - welche habe ich vergessen?

Jeder macht irgendwas - und IMHO sollte keiner für mehr verantwortlich
sein, als er ohnehin tut, in anderen Worten: Keiner sollte dazu
verpflichtet werden (oder besser: die Erlaubnis bekommen), mehr Daten zu
erheben/verwenden/auswerten als für die reibungslose Erfüllung seiner
technischen Rolle notwendig. Ausserdem gilt, aus rein praktischen
Erwägungen: Die Beurteilung von Inhalten unterliegt dem Recht des Landes,
in dem der Betreffende handelt. (Sonst ist jeder Verantwortlich nach dem
Recht von rund 200 Staaten.)

>> Staatsanwälte haben gar nichts zu sagen sondern müssen den ordentlichen 
>> Weg über Gerichte gehen wie jeder andere auch.
>
>Falls oeffentliche Interessen verletzt werden, muessen Staatsanwaelte
>Klage erheben.  Fragt sich nur gegen wen.
[...]

Die Schwierigkeit ist: Momentan können Staatsanwälte ISPs durch
Beschlagnahmen zugrunderichten. Der "anschliessende" Prozess (CompuServe
war im November '95, der Prozess ist jetzt!) ist dann nur noch von
juristisch-akademischem Interesse.
Was wäre geschehen, wenn CompuServe in München tatsächlich eine Proxy-Farm
betrieben hätte, die Rechner wäre beschlagnahmt worden und in der
Konsequenz wäre der Dienst für eine Woche total ausgefallen und hätte
seitdem wesentlich höhere Bandbreiten einkaufen müssen und so die
Kalkulationsbasis zerstört...
Was wäre geschehen, wenn es statt CompuServe den kleinen Münchener Provider
XXXXXXXXX erwischt hätte? (Könnte sich der Geschäftsführer einen
angemessenen Anwalt überhaupt leisten, wenn das Bayerische
Justitzministerium schon ein Nachfolge-Gesetz androht? - Aber diese Frage
ist in unserer Demokratie natürlich unwichtig... jeder kann sich einen
gleich guten Verteidiger leisten...)

Josef
-- 
Josef Dietl                             jdietl@w3.org
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